Wer hier schon länger mitliest, der kennt mit Sicherheit meine Artikelserie „Seitenwechsel“. Der letzte Beitrag in dieser Reihe erschien bereits vor eineinhalb Jahren, und das ist definitv zu lang. Wer mit den Hintergründen nicht vertraut ist, für den gibt es am Ende des Artikels eine kurze Erklärung.
Heute präsentiere ich die Sichtweise von TWISK, einem Hamburger DUO, über welches das Soundkartell schreibt: TWISK bricht bewusst mit den üblichen Strukturen wie von Strophe, Refrain und dann nochmal alles von vorne. Dadurch schaffen sie auf natürliche Art und Weise Ecken und Kanten in ihrer Musik, die uns unvermittelt klar machen, wie verwöhnt wir von kantenlos, ungefährlich wirkenden Songstrukturen geformt wurden.
Lennart: Ich wünsche mir, dass unsere Musik gehört wird. Warum sie allerdings gehört werden könnte, ja sollte, darüber bin ich mir nicht immer im Klaren. Da schwanke ich zwischen verschiedenen Antworten.
Die offizielle wäre: „Weil wir gute Songs schreiben, nach dieser oder jener Band klingen und interessanter als recht viele andere Bands sind.“, wobei der Schwerpunkt unterschiedlich gelegt werden kann. Das ist eben die offizielle, die selbstbewusste Antwort.
Wer aber in einer kleinen Band spielt, weiß, dass man nur dann ungebrochen und ständig selbstbewusst sein kann, wenn man keine Relationen sieht und vollkommen verblendet ist. Ansonsten kennt man den Frust beim Versuch, ein wenig Beachtung zu finden oder aber, schwerer noch, eine Tour zu buchen. Aber das sind nur Momente, und auch keine dramatischen, nur ein kleines Sinken das Kopfes, kein Zusammensacken des Körpers. In ihnen aber komme ich mir manchmal vor wie ein Kind, dass seine Bilder zeigen und verschenken möchte. Man liebt seine Werke, nahestehende Menschen lieben sie auch oder fördern sie zumindest, sind aufmerksam und hilfsbereit, für alle anderen ist es ein Gekrakel unter vielen. Womöglich ist es liebenswert, vielleicht sogar objektiv gut, lässt einiges erahnen oder für die Zukunft Großes hoffen. Aber es sind nicht mehr als Bilder, wie sie Kinder zu Millionen malen, Tag für Tag.
Dann aber gibt es die Momente, in denen ich mich erinnere, wie viel mir eine weitestgehend unbekannte Gruppe einst bedeutet hat (bei mir waren das unter anderem die Grätenkinder) und dass sich Beachtung und Beachtlichkeit nicht bedingen. Und vielleicht kann das eigene Werk (klingt hochgestochen, aber in diesen Momenten weiß man: Was man schaffen möchte, ist ein Werk) einigen Menschen ja genauso viel bedeuten. Und überhaupt, bedeutende Bands haben manchmal gar nicht um Zuwendung gebuhlt, sie aber dennoch früher oder später erhalten.
Man weiß halt nicht, wie die eigene Musik rezipiert wird und was damit in Zukunft geschehen könnte. Und man sollte es auch nicht wissen. Es reicht, wenn man nicht aufhört, Lieder zu schreiben.
Davon kann man selbstverständlich nicht leben. Warum allerdings sollte man mir ein Leben als Musiker ermöglichen? Weshalb mich angemessen bezahlen, meine Miete übernehmen, all so etwas? Dafür gibt es gegenwärtig noch keinen Grund, jedenfalls keinen, der sich davon herleiten lässt, dass ich Musiker bin. Es kann auch gar nicht, und damit wird es sehr grundlegend, die Frage sein, wie mit Musik Geld verdient werden kann. Und das nicht, weil l’art pour l’art halt fancy ist (spätestens mit eigener Familie läuft die hübscheste Genügsamkeit Gefahr, zur belastenden und unverantwortlichen Attitüde zu werden), das nicht.
Der Glaube, durch Kreativität nicht ganz so prekär und proletarisch wie die anderen zu sein, ist höchst selbstgefällig […]
Es geht mir einfach auf die Nerven, wenn Musiker anklagend fragen, warum Industrie und Hörer denn so furchtbar ungerecht zu ihnen wären. Die Gerechtigkeit, nach der sie sich sehnen, ist der Wunsch nach einer Protektion, die der Kapitalismus nur den Begüterten gewährt. Musiker stehen nicht außerhalb dieser Gesellschaftsform, sie sind auch dann, wenn sie nicht in Fabriken stehen, Arbeiter. Der Glaube, durch Kreativität nicht ganz so prekär und proletarisch wie die anderen zu sein, ist höchst selbstgefällig, er zehrt von einem verklärten Bild des Künstlers, das nur mit sehr großer Konsequenz und viel Mut oder aber wohlhabenden Verwandten, Freunden und Rücklagen auf das eigene Leben übertragen werden kann. All die Brotjobs und schlechten Deals sollten das eigentlich deutlich machen.
Jedoch scheint ein gewisser Dünkel hier die fehlende Absicherung zu ersetzen. Man lebt als Musiker nicht deshalb prekär, weil die Inhaber der Plattenfirmen, Streaminganbieter oder Google, die stimmberechtigten GEMA-Mitglieder, Tourneeveranstalter und die ganze Industrie den guten Argumenten der Künstler einfach noch nicht zugehört haben, sondern weil die Produktion und das Leben der Produktivkräfte einem Geschäftsmodell dient. Und das basiert darauf, mit Arbeitskraft, auch der von Musikern, privaten, nicht gesellschaftlichen Wohlstand zu erwirtschaften.
Das ist etwas knapp formuliert und ignoriert all das Engagement und die Hingabe kleiner Labels, Agenturen und Venues, sollte aber nicht vergessen werden, wenn eine Band sich wieder einmal wundert, warum man so ungerecht zu ihr sei. Diese Ungerechtigkeit widerfährt nicht nur den Künstlern, sondern all den Menschen, denen nichts anderes übrigbleibt, als ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Das braucht und sollte man nicht hinnehmen, nur wird dieser Misstand nicht dadurch abgeschafft, dass mehr Musiker ein Auskommen finden.
(Noch zwei Lektüre-Empfehlungen zum Thema: Berthold Seliger – „Das Geschäft mit der Musik“, Erich Mühsam: „Der Künstler im Zukunftsstaat“)
P.S. von Martina:
Ja, Demystifizierung tut gut.
Wenn man relativ viele Menschen, deren dringlichster Output die Musik darstellt, zu den engsten Bezugspersonen zählt, und dem ist bei TWISK so, dann sollte man wenigstens an dieser Stelle mal wieder die Parallele zum Pre-Internet Indie ziehen. Man konnte als Musiker den Eindruck gewinnen, es bewegte der eigene Output eine halbe Welt. Es waren dann zwar nur hundert Gleichbewegte, welche unter Milliarden verstreut beispielsweise den Hardcore der ersten Welle spielten (oder hörten und unterstützten, läßt sich dies doch selbstredend auf Fans, Promoter und Consorten übertragen), aber sie hatten tourend und telefonierend ihr personalisiertes Netzwerk gesponnen und lebten in einer klasse Blase (bitte nicht abwertend aufzufassen).
Dabei ist’s natürlich gerade auch diesertags ein bisschen umgekehrt, nämlich womöglich wie folgt: Weil meine Musikerfreunde verstehen, weshalb mich die künstlerische Selbstausbeutung (Rückendeckung durch zwei Brotjobs) glücklich macht und die meisten anderen Menschen, mit welchen ich in Kontakt stehe, nicht, halte ich mich an Erstere. Schließlich gibt es ungeheure Scharen von All-In-One-Musikern (damit meine ich die elendigliche Personalunion des sich selbst managenden Musikers und im Extremfall den Musiker, welcher, allein mit seinem Laptop, nur noch sich selber genießt und die Gesellschaft verläßt, sodass die Musik irgendwann die Gesellschaft verließe – schrecklich!), und man kann sie theoretsch alle im Browser streifen und wieder vergessen.
Wenigstens einmal monatlich spielt dann aber doch im Live-Club, in welchem ich einen Mini-Job habe, eine Band von weither, welche nicht wegen imposanter Klicks-Zahlen gebucht wurde, sondern weil sie verdammt charmant ist, und alle Jahreszeiten höre ich, wie ein solcher persönlicher Geheimtipp auf dem feinen Soundso-Label veröffentlicht oder -Festival hergezeigt wird. Und dann geht’s auch bei mir nahtlos weiter mit verblendetem, verglücklichendem Drang: Mit dem von TWISK ausgesendeten Signal Gleichbewegte treffen, Inspiration widerfahren, Kooperationen bilden, vielleicht gar Katalysator sein.
Warum, warum, warum sich nicht einfach den Drang, den Wert eines Drangs eingestehen und die Dinge einfach tun!
Und zum Schluss fällt mir noch Jacques Atali ein, welchen ich im Theater Hebbel am Ufer in Berlin vortragen hörte. Seine (scheinbar Débord-gestütze) Theorie hat mich durchzuckt; ich möchte sie an Euch überprüfen:
„Es gibt eine prognostizierende Dimension im Musikbetrieb, er antizipiert gesellschaftliche Wandel. Seit Musik nicht mehr in Objekte gepresst werden muss, wird nach Kontrollmechanismen – vor allem für das Internet – gesucht. Ist das MP3-Format Vorbote eines Polizeistaates?
(…) Wenn die ‘Majors’ sich durchsetzen, wird der heute weitgehend kostenlose Handel im virtuellen Raum der Musik wieder zur Sache der Minderheit. Dieser Prozess muss sich durchaus nicht auf die Musik beschränken. Es beginnt eine neue Phase des Kapitalismus, in dem Information zur wichtigsten Ware wird. Deren Wert hängt davon ab, in welchem Maß es gelingt, ihre Nutzer zu (ver-)binden. Die Nachfrage wird nicht mehr zuvorderst vom Wunsch bestimmt, sich etwas anzueignen. Es geht darum, dabei zu sein. Das interessanteste Angebot ist nicht mehr Besitz, sondern Zugehörigkeit.
(…) “Die Wirtschaft beschränkt sich damit nicht mehr auf den Handel mit Waren auf einem Markt. Verkauft wird die Teilnahmeberechtigung an globalen Events in einer virtuellen Welt, in der ‘Repräsentation’ und ‘Wiederholung’ fusionieren. Allgemeiner gesagt: Man verkauft im Abonnement das Recht auf Zugehörigkeit zu einem Netz nach dem Muster der Gebühren für die Mitgliedschaft in Clubs oder Vereinen. In diesen Clubs oder Vereinen versammeln sich die Zuschauer, die eine Meisterschaft live verfolgen, Absolventen, die das gleiche Diplom verliehen bekommen haben, Patienten, die sich in der gleichen Klinik behandeln lassen. Menschen also, die nicht bezahlt haben, um ‘zu haben’, sondern um ‘dabei zu sein’.”
(teils protokolliert am 16.01.2009, teils aus Jacques Attali, “Bruits”, Fayard, 2001 [Erstveröffentlichung PUF, 1977])
twiskband.tumblr.com
Soundcloud
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Was soll das hier eigentlich? Wir sitzen auf der einen Seite. Wir hören Musik umsonst, bei Streaming-Anbietern wie Spotify, Deezer, rdio, Simfy. Wir kaufen die ein oder andere Platte oder bezahlen für einen Download. Wir gehen auf Konzerte, kaufen Merch-Artikel und bezeichnen uns als Fans. Wir lesen Blogs und diverse Onlinemagazine. Und, wenn wir ehrlich sind, dann haben wir in der Vergangenheit auch schon einmal eine CD gebrannt und uns das eine oder andere Musikstück illegal heruntergeladen. Das ist unsere Seite.
Und auf der anderen Seite sitzen die Musiker. Denn die Musikindustrie ist genau genommen nur der Vermittler. Sicherlich ein wichtiger Vermittler, der eine Menge falscher Entscheidungen getroffen hat und trifft, und den man mitunter auch verachten kann. Aber auf der anderen Seite sitzt meines Erachtens der Künstler. Und dessen Meinung zur aktuellen Lage der Industrie geht in meinen Augen sehr oft einfach unter. Dabei ist es doch gerade interessant zu erfahren, wie Musiker heutzutage leben, womit sie ihr Geld verdienen, wie viel Herzblut mit jedem nicht verkauften Album verloren geht, wie anstrengend das dauernde Touren ist, woher das Durchhaltevermögen kommt, warum man sich das überhaupt antut.
Und aus diesem Grund möchte ich die Musiker fragen. Ich bitte ausgesuchte Künstler, auf meinem Blog ihre Meinung kundzutun. Ihre Meinung zu Fans, zu illegalen Downloads, zu ihrem Arbeitsumfeld, ihrer Lebenssituation, der Musikindustrie, dem Musikerdasein. Dabei sind sie in Form und Inhalt völlig frei. Ob das nun ein kurzes Statement ist oder ein Kurzroman, ich mache keine Vorgaben.
Kommentare
2 Antworten zu „Seitenwechsel #29: TWISK“
Guter Artikel!
Danke für das Zitat! 🙂
Sehr gerne. Und danke!