Seitenwechsel #15 – Nachlader

Elektropop aus Berlin. So würde ich Nachlader mit drei Wörtern charakterisieren. Hier wird nicht gefrickelt, hier wird gerockt und getanzt. Ende nächster Woche erscheint mit „Koma Baby Lebt“ das neue Studioalbum von Daniel Baumann, und ich konnte ihn durch einen netten Mittelsmann dazu überreden, uns ein wenig davon zu erzählen, wie es war, sich eine neue Platte vom Mund abzusparen und damit voller Vorfreude nach Hause zu kommen. Und wohin sich die Industrie heute entwickelt hat. Viel Spaß bei diesem sehr interessanten Einblick!

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Daniel Baumann (Nachlader):

Ich fühle mich mittlerweile so, als ob ich aus einer längst vergangenen Epoche in die Gegenwart gespült worden bin. Denn ich habe unglaublich früh angefangen Platten zu kaufen. Das war vielleicht auch meinem fünf Jahre älteren großen Bruder geschuldet. Aber bei meiner ersten LP („Ideal“ von „Ideal“) war ich 9 und habe die nächsten 10 Jahre mein gesamtes Taschengeld in eine Platte pro Monat investiert und dafür gern auf Süßigkeiten, Pommes, Star Wars-Figuren und ähnliches verzichtet.

Da ich mir in der Regel nur eine pro Monat leisten konnte, musste ich mir immer ganz genau überlegen, ob die Scheibe die Investition wert ist. Und dann wurde sie natürlich den ganzen Monat durchgehört. Ein besonderes Schlüsselerlebnis war dabei immer das erste Anhören am heimischen Plattenspieler, auch wenn man natürlich im Laden schon das gesamte Album durchgehört hatte. Meistens hörte ich die Platte dann für den Rest des Tages.

Lang, lang ist das her! Und meine Einstellung zu Musik und vor allen Dingen auch zur Musikbranche hat sich seitdem stark verändert. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass Musik mittlerweile mein Beruf ist und ich mit ganz anderen Augen (und Ohren) Produktionstechniken, Marketing-Strategien und Medien-Resonanz betrachte.
Der Hauptgrund scheint mir aber zu sein, dass Musik einfach nichts mehr wert ist. Es ist schon erstaunlich; es gibt mehr Musik als jemals zuvor, sie ist überall verfügbar und wird zu jedem Zweck eingesetzt, aber die Bedeutung von Musik ist dennoch kontinuierlich weniger geworden.

Es gibt eine ganze Generation von jungen Musik-Konsumenten, die sich überhaupt nicht mehr vorstellen kann, was für ein erhebendes Gefühl es war, mit der neuen Platte in der Hand nach hause zu eilen, um sich dann endlich stundenlang in seinem Zimmer zu verbarrikadieren und nichts zu tun außer zuzuhören. Schon die CD vermittelte mir nicht mehr dieses Gefühl. Und spätestens seit in den „Plattensammlungen“ meiner Freunde mehr und mehr selbstgebrannte CDs auftauchten, war es endgültig aus. Plattformen wie „Audio-Galaxy“ schafften es dann sogar, die Illusion zu erzeugen, dass Musik ein für alle jederzeit frei verfügbares Gut ist.

Seitdem sind auch schon wieder einige Jahre vergangen und ich meine, dass langsam ein Umdenken stattfindet. Den verbliebenen Majors, die sich bis auf wenige Ausnahmen ausschliesslich auf blasse, persönlichkeitslose Casting-Show-Klone konzentrieren und bei den paar „richtigen“ Bands, die sie haben, meist auch kaum Aufbauarbeit leisten, sondern die Band nebst selbst aufgebauter Infrastruktur einfach schlucken, stehen junge, innovative und meist sehr kleine und flexible Labels gegenüber, die glaubwürdig vermitteln, dass sie Qualität bieten, die nur durch sehr viel persönlichen Einsatz und viel Arbeit zustande gekommen ist. Damit wird man kaum Mehrzad Marashi oder Lena Meyer-Weissnichmehr von der Chartspitze verdrängen können. Aber Labels wie Audiolith, Tapete oder Sinnbus haben auf sehr unterschiedliche Arten bewiesen, dass es durchaus möglich ist, zumindest zu einer festen Größe in einem bestimmten Segment zu werden und dafür zu sorgen, dass zumindest der eine oder andere von seiner Musik leben kann.

Und gerade live ist ja teilweise auch immer noch etwas zu verdienen. Wo früher das live spielen von vielen als notwendiges Übel betrachtet wurde, um die Plattenverkäufe anzuschieben, geht es heute eigentlich nur noch darum, durch ein Veröffentlichung genug medialen Wirbel zu entfachen, damit genug Menschen zu den Konzerten kommen. Oder man entscheidet sich einfach, sein eigenes Label zu gründen, wie wir es mit Nachlader gemacht haben. Die Vorteile liegen dabei natürlich auf der Hand. Man entzieht sich vielen Branchenmechanismen und kann absolut autark agieren.

Gleichzeitig übernimmt man aber immer mehr Funktionen, die mit dem eigentlichen Musik machen nichts mehr zu tun haben, und endet mehr oder weniger in einem der Bürojobs, gegen die man mit seinem alternativen Lebenslauf ein Zeichen setzen wollte. Naja, aber „von nüscht kommt nüscht“ wie der Berliner sagt, und das hat sich letztlich in all den Jahren in der sich stetig wandelnden Musikbranche auch nicht verändert. Auch wenn es ein wenig merkwürdig ist, wenn man trotz harter Arbeit in den unterschiedlichsten Bereichen und voll ausgelastetem Terminkalender auf einmal feststellt, dass man seit über einem Jahr keinen Song mehr geschrieben hat…

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Video zum aktuellen Song „Pommes und Disco“

Infos zu Nachlader:

Homepage
MySpace-Seite der Band
Wikipedia-Eintrag
Last.fm

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Was soll das hier? Wir sitzen auf der einen Seite. Wir hören Musik umsonst, bei Streaming-Anbietern wie last.fm, Spotify, roccatune. Wir kaufen die ein oder andere Platte oder bezahlen für einen Download. Wir gehen auf Konzerte, kaufen Merchandise-Artikel und bezeichnen uns als Fans. Wir lesen Blogs, wir kennen die Hype Maschine und diverse Onlinemagazine. Und, wenn wir ehrlich sind, dann laden wir auch das eine oder ander Musikstück illegal herunter. Das ist unsere Seite.

Und auf der anderen Seite sitzen die Musiker. Denn die Musikindustrie ist genau genommen nur der Vermittler. Sicherlich ein wichtiger Vermittler, der eine Menge falscher Entscheidungen getroffen hat und trifft, und den man mitunter auch verachten kann. Aber auf der anderen Seite sitzt meines Erachtens der Künstler. Und dessen Meinung zur aktuellen Lage der Industrie geht in meinen Augen sehr oft einfach unter. Dabei wäre es doch gerade interessant zu erfahren, wie Musiker heutzutage leben, womit sie ihr Geld verdienen, wieviel Herzblut mit jedem nicht verkauften Album verloren geht, wie anstrengend das dauernde Touren ist, woher das Durchhaltevermögen kommt, warum man sich das überhaupt antut.

Und aus diesem Grund möchte ich die Musiker fragen. Ich bitte ausgesuchte Künstler, auf meinem Blog ihre Meinung kundzutun. Ihre Meinung zu Fans, zu illegalen Downloads, zu ihrem Arbeitsumfeld, ihrer Lebenssituation, der Musikindustrie, dem Musikerdasein. Dabei sind sie in Form und Inhalt völlig frei. Ob das nun ein kurzes Statement ist oder ein Kurzroman, ich mache keine Vorgaben.


Kommentare

Eine Antwort zu „Seitenwechsel #15 – Nachlader“

  1. „auf einmal feststellt, dass man seit über einem Jahr keinen Song mehr geschrieben hat…“

    triffts ungemein.