Als sich die vier Londoner von The xx Anfang 2009 mit „Crystalised“ ins Licht der Öffentlichkeit wagten, war das Interesse groß. Noch größer wurde es mit Erscheinen des Debütalbums im August des gleichen Jahres. Wer waren diese schüchternen, schwarz gekleideten, knapp zwanzigjährigen Musiker, welche es schafften, aus karger Instrumentierung, gelangweilt-lasziven Gesang und kleinen Melodien einen unwiderstehlichen Sog zu entfalten? Ihr Debüt hatte unbestreitbar etwas Einzigartiges – diese beiden Stimmen, die Vermischung von R’n’B und Rock, die Produktion. Die Zuneigung der Kritiker und Fans wurde umso größer, je weiter sie sich den Mechanismen des um Aufmerksamkeit schreienden Business verwehrten.
In der Folgezeit schrumpften sie auf ein Trio, gewannen den Mercury Prize und Jamie xx machte sich als Produzent einen Namen. Jetzt, knappe drei Jahre später erscheint ihr lang erwartetes zweites Album. Viel hat sich im Klangkosmos des Londoner Trios nicht getan, es klingt immer noch nach Reduktion und Unterkühlung, nahe am Nullpunkt der Instrumentierung. Die Songs sind kaum mehr als Skelette, sämtliche überflüssigen Schichten wurden entfernt, bis nur der Kern übrig blieb. Durch diese spärliche Instrumentierung bleibt sehr viel mehr Raum für die Stimmen von Romy Madley Croft und Oliver Sim. Ihr lyrisches Zusammenspiel ist der emotionale Kern der Band und er wirkt durch die instrumentale Reduktion noch intensiver. Allein das gegenseitige Umkreisen in „Reunion“ in der Mitte des Songs, als der Beat einsetzt und sich die beiden Sätze „Did I, see you, see me, in July?“ und „Never, not ever again“ umeinander winden bis nicht mehr klar wird, ob es ein Happy End oder zerbrochene Herzen geben wird… das ist unglaublich groß.
Aber auch die Arrangements gewinnen durch die Spärlichkeit. Das von einem simplen Keyboard-Motiv getragene und nur sparsam durch Gitarre und Drums begleitete „Fiction“ etwa, welches sich durch die großartige Gitarrenfigur zum Ende hin zu einem echten Hit entwickelt. Oder „Missing“, bei welchem in den Tiefen des Raums unglaublich viel passiert, der Song sich langsam entwickelt und dann völlig zum Stillstand kommt. Nur um dann mit emotionaler Wucht voll zuzuschlagen.
Trotz der Kargheit hat Jamie XX den Sound verfeinert und fügt ihm neue Aspekte hinzu. Sei es ein Burial-Beat („Chained“), Steel Drums („Reunion“) oder ein House Beat („Sun“, „Swept Away“): der Sound wirkt gereifter. Und er bildet mit seiner Kühle einen tollen Kontrast zu den Texten, welche das Gefühl vermitteln, das sie am besten in das Ohr des Zuhörers geflüstert werden sollten. Durch diesen Kontrast wird der emotionale Kern noch verstärkt. „Coexist“ stellt eine kaum wahrnehmbare Evolution des Bandsounds dar. Was ein langweiliger zweiter Aufguss oder gar eine Hinwendung zum Ausverkauf hätte werden können, ist ein auf den Punkt instrumentiertes, emotionales Album geworden, welches nach den letzten Klängen eine große Leere hinterlässt. Da hilft nur ein Neustart.
Kommentare
4 Antworten zu „Kritik: The xx – Coexist“
Jap, tolle Kritik. Aber schwache Platte!
schöne und pointierte kritik. und endlich mal eine kritik, die auch auf die eigentliche musik tiefgründiger eingeht. in zeiten von INTRO, SPEX und co (die ich dennoch sehr mag) ist dies schon länger keine selbstverständlichkeit mehr…
Danke ♥
Du hast vollkommen recht. Ich finde Coexist nach jedem Durchgang besser. Es ist eine unglaubliche Wärme in den Songs selbst wenn sie textlich etwas ganz anderes ausdrücken. Ich bin heilfroh, dass der alte Sound beibehalten und nur dezent verändert wurde. Etwas anderes wäre bei dieser Reduktion ohnehin Selbstmord gewesen. Es macht einfach Spaß den dreien zuzuhören. Vielen Dank für den Hinweis zum Stream, den hätte ich ansonsten wohl verpasst.