Kritik: Arcade Fire – Reflektor

Natürlich war ich gespannt. Denn die ersten drei Alben von Arcade Fire haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin: ein Fan. Schon „Funeral“ fand ich großartig, und das zurecht mit einem Grammy ausgezeichnete „The Suburbs“ ist wohl eines der von mir am meisten gehörten Alben der letzten Jahre. Und so fragte ich mich Anfang September: Welche Richtung würden die Kanadier auf ihrem vierten Album einschlagen?

Der vorab ausgekoppelte Titelsong ließ mich ratlos zurück. Das sollte es also sein? Disco? LCD Soundsystem? David Bowie gar? Am Anfang verstand ich gar nichts. Ernüchterung machte sich breit. Aber eine meiner Lieblingsbands wollte ich nicht einfach so aufgeben. Und so quälte ich mich anfangs durch diesen spröden Brocken. Irgendwann machte es dann Klick, und ich war fasziniert. Drei Tage nach Erscheinen des Songs begann eine Phase, in der ich den Song mindestens zwei Mal am Tag hörte.

In den folgenden Wochen begann ein nerviges Katz-und-Maus-Spiel. Es gab Livemitschnitte diverser Auftritte einschließlich semi-lustiger Cameo-Auftritte diverser Hollywood-Schauspieler und kurze Video-Teaser mit unbrauchbaren Soundschnipseln. Jeden Tag schaute ich voller Vorfreude in mein Postfach, denn trotz gegenteiliger Erfahrung bei „The Suburbs“ wartete ich auf eine vorzeitige Bemusterung. Ich informierte mich sogar darüber, ob das Album irgendwo geleakt sei. Aber selbst zwei Tage vor dem Deutschland-Release war nichts durchgesickert, obwohl es in Irland scheinbar einige Plattenläden gab, die das Album schon am 23. Oktober verkauften. Einen Tag vor dem Veröffentlichungstermin dann endlich der komplette Albumstream. Einen Tag später die Bemusterung. Seit diesem Tag läuft „Reflektor“ bei mir in Dauerrotation. Andere Musik höre ich im Moment nicht wirklich.

Ich las in den letzten Tagen dutzende Reviews, die im Grundtenor recht positiv ausfielen. Natürlich gab es auch kritische Stimmen. Es war die Rede davon, dass die Band mit diesem Album zu viel will, ohne die entsprechende Substanz zu liefern. Dass sie es nicht schafft, Songs gekonnt zu Ende zu bringen. Es wurde moniert, warum es denn unbedingt ein Doppelalbum sein musste; die Platte hätte doch wunderbar innerhalb von 74 Minuten funktioniert. Auf der anderen Seite gipfelte die Begeisterung dann gar in einen Vergleich mit „OK Computer“.

Für mich ist auch nach gefühlten 15 Durchläufen noch nicht klar, was ich von diesem Monster halten soll. Aber ich habe für mich irgendwann einmal eine kleine Regel aufgestellt: wenn ein Album mindestens 4 großartige Songs und keinen wirklichen Durchhänger vorweisen kann, dann ist es für mich ein ganz großes. Und diese Kriterien kann „Reflektor“ locker erfüllen*. Der Titelsong gehört nach wie vor zu meinem täglich Brot, „We Exist“, „Afterlife“, „Here Comes The Night Time“, „Joan Of Arc“ und „Awful Sound (Oh Eurydice)“ sind großartige Songs. Mein absolutes Highlight ist aber „It’s Never Over (Oh Orpheus)“. Diese Mischung aus knallhart rockendem Riff, Knarz-Bass, Disco-Beat und Gänsehaut-Refrain ist mein Song des Jahres 2013. Soviel steht für mich bereits jetzt fest. Damit löst er „Brennisteinn“ von Sigur Rós ab, welcher sich erstaunlich lange dort oben gehalten hatte.

Momentan bin ich in einer Art glückseligen, völlig unkritischen Schockstarre gefangen, und aus diesem Grund fehlt eine kritische Reflektion hier völlig. Vielleicht folgt die irgendwann. Aber bis dahin werde ich dieses Album wieder und wieder hören. Bleibt für mich nur noch eines zu sagen:

9/10

*Ok, dieses G-Funk-Geschnippse „Porno“ ist nahe an einem Durchhänger, der Refrain rettet den Song allerdings.

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