Wenn es in diesem Jahr ein Album gibt, auf das ich sehnsüchtig warte, dann ist das „High Violet“ von The National. Am 7. Mai ist es endlich soweit. Seit vorgestern gibt es den ersten offiziellen Vorboten in Form der Gratis-MP3 „Bloodbuzz Ohio“, und dieser Song in Kombination mit dem in der Jimmy Fallon-Show vorgestellten Opener „Terrible Love“ lässt meine Erwartungen enorm hochschnellen. Zu meiner absoluten Freude durfte ich Aaron Dessner einige Fragen zum neuen Album, zu New York und zur Arbeitsweise der Band stellen.
nicorola: Hallo. Danke, dass du dir die Zeit nimmst, mir einige Fragen zu beantworten. Euer neues Albums erscheint in ein paar Wochen. Wie fühlst du dich? Nervös, erleichtert, zufrieden?
Aaron: Ich bin sehr zufrieden, was für mich eher ungewöhnlich ist. Normalerweise dauert es Monate, bis ich mir unsere Alben ohne zu zucken anhören kann, aber dieses Mal habe ich das Gefühl, das wir etwas sehr ästetisches und kraftvolles geschaffen haben, das Songwriting passt. Rund um die Uhr im eigenen Studio arbeiten zu können hat auf jeden Fall eine Menge geholfen, denke ich.
nicorola: Wenn ich mir die Webseite zum Album anschaue, das sehe ich Fotos von euch, auf denen ihr sehr konzentriert, ernst und fokussiert schaut. Wie waren die Arbeiten am Album?
Aaron: An einer neuen Platte zu arbeiten ist für uns immer ein sehr anstrengender Prozess. Es gibt nicht den einen Visionär, der mit kompletten Songs um die Ecke kommt. Vielmehr dreht sich bei uns alles um die Chemie und die Reibung zwischen uns, und es dauert alles seine Zeit und kann mitunter sehr frustrierend sein. Manchmal gibt es Songskizzen, die mein Bruder und ich dann zusammen über eine lange Zeit ausarbeiten, orchestrieren und verfeinern können. Aber das würde ich nicht als Spaß bezeichnen.
nicorola: Was magst du an „High Violet“?
Aaron: Ich mag das Aufeinandertreffen von rumpeligen, verrückten und fetten Gitarrensounds mit den schweren, epischen Orchestrierungen, die du in einigen Stücken hören kannst. Das Album entstand zuhause, wir konnten also den Bombast auf der einen Seite und die Bescheidenheit einer Garagenproduktion auf der anderen Seite ganz gut ausbalancieren. Ich denke außerdem, das „High Violet“ Matts lyrisch stärkste Platte ist. Die Perspektive ist allgemeingültiger, nicht mehr so sehr Richtung einsamer Wolf. Das Album ist dunkel, paranoid und verschroben aber gleichzeitig an einigen Stellen auch lustig.
nicorola: Nach mehreren Hörduchläufen finde ich, das „High Violet“ das eher Sinnliche von „Boxer“ mit dem Elan von „Alligator“ verbindet. Was sind deiner Meinung nach die Unterschiede zwischen dem neuen Werk und dem direkten Vorgänger?
Wir hatten diesmal keine Angst, die Songs explodieren zu lassen oder episch zu werden, wenn die Musik danach verlangte.Aaron: „High Violet“ ist nicht so zurückhaltend wie „Boxer“. Wir hatten diesmal keine Angst, die Songs explodieren zu lassen oder episch zu werden, wenn die Musik danach verlangte. „High Violet“ hat eine Menge Katharsis. „Boxer“ ist eher meditativ und gedämpft und im Vergleich viel stärker poliert. Matt geht auf diesem Album auch öfter aus sich heraus. Die Melodien sind ausgearbeiteter. Es ist herzzerreißend und wundervoll wie „Alligator“ und Boxer“, aber mehr aus dem Bauch heraus.
nicorola: Ihr habt bei einigen Stücken Streicher und Bläser eingebaut, was die Dramatik erhöht. War das eine bewußte Entscheidung oder habt ihr während des Songwritings gedacht: „Der Song braucht Streicher!“
Aaron: Wir haben bei einigen Songs ganz bewußt mit Orchestrierung gearbeitet, um mehr harmonische Tiefe und Komplexität zu erreichen, damit die Musik mit jedem Durchgang weiter wächst und sich ein Stückchen mehr offenbart. Wir haben sie auch benutzt, um mit Klangfarben und Texturen zu spielen. Dieses Album hat eine Menge sich verschiebender Texturen. Wir benutzen solche Instrumente nie nur als Zuckerguss.
nicorola: Eure neuen Songs haben Titel wie „Afraid Of Everyone“, Little Faith“ und „Sorrow“. Denkst du, das man dieses Album oder eines eurer vorherigen als pessimistisch wahrnehmen könnte?
Aaron: Ich finde unsere Alben nicht pessimistisch. Einige Songs handeln von realistischer Betrachtung der menschlichen Natur, d.h. sie können düster, verworren oder auch lustig sein, andere wiederum konzentrieren sich mehr auf Fantasien. Traurige Songs können befreiend und lustig sein. So denken wir darüber. Matt kann nur über Dinge schreiben, die er kennt und mit denen er kämpft. Liebe ist zum Beispiel nicht einfach, sie ist ein fortwährender Kampf. Diesen Umstand zu thematisieren, macht uns das pessimistisch? Ich denke nicht!
nicorola: In einem Song heißt es „Stuck in New York and the rain’s coming down…“ Kann einen New York manchmal runterziehen? Inwieweit beeinflusst diese große Stadt eure Songs?
Aaron: New York ist für uns sehr inspirierend, aber es fühlt sich immer ein wenig so an, als ob wir versuchen, mit der Stadt Schritt zu halten. Und auf eine gewisse Weise sind wir auch Außenseiter, wir kommen nämlich eigentlich aus Ohio. Aber ja, New York kann schwierig sein, speziell wenn du in diesem Hamsterrad mitzulaufen versuchst. Aber normalerweise taucht New York als wunderschöne Inspiration in unseren Songs auf.
nicorola: Kannst du dir vorstellen, jemals in einer anderen Stadt zu leben?
Aaron: Das bezweifle ich ernsthaft. Zumindest solange ich mir nicht eine Farm im New Yorker Umland zulege.
nicorola: Wer kam eigentlich auf den Albumtitel? Was steckt dahinter?
In gewisser Weise klingt der Titel „High Violet“ wie ein Spiel mit dem lächerlichen Terror-Warnsystem, welches wir in Amerika haben.Aaron: Matt kam damit an. Es handelt sich bei dem Titel eher um ein abstraktes Konzept. Das Wort „high“ taucht in einigen Songs auf. In gewisser Weise klingt der Titel „High Violet“ wie ein Spiel mit dem lächerlichen Terror-Warnsystem, welches wir in Amerika haben. Vielleicht ist das auch irgendein verrücktes religiöses Statement. Klingt auf jeden Fall gut.
nicorola: Kennst du das Konzept hinter dem Cover von „High Violet“? Wer hat es entworfen?
Aaron: Das ist eine Fotografie einer Skulptur namens „The Blinding Force“ von Mark Fox, einem Künstler aus Ohio, den wir sehr mögen. Es sieht für uns wie ein chaotischer Schwarm von Wörtern aus, ein wenig so wie das Album selbst. Es spielt ein wenig mit der Idee, das vielleicht alles nur Nonsens ist. Andererseits meint es vielleicht etwas Profundes, welches sich irgendwo in dem Chaos verbirgt.
nicorola: Auf der Website zu „High Violet“ sieht man ein Whiteboard mit einigen Songtiteln darauf. Dabei handelt es sich allerdings nicht um die finale Trackliste. Was passiert mit Songs wie „I’ll Be A Cop“, „Quiet Go“ oder „David Boring“?
Aaron: Vielleicht landen sie im Müll oder sie tauchen irgendwann wieder auf. Es ist noch zu früh, das zu entscheiden.
nicorola: Vor ein paar Tagen hattet ihr einen Auftritt im Bell House. Euer Set umfasste auch eine handvoll neuer Songs wie „Sorrow“, „Afraid Of Everyone“ und „Lemonworld“. Was war das für ein Gefühl, diese Songs live zu spielen? Wie hat das Publikum reagiert?
Aaron: Das war eine tolle Erfahrung. Jeder von uns hatte eine großartige Zeit und wir konnten spüren, das diese Songs live großartig sein werden. Das Publikum war wundervoll.
nicorola: Gab es irgendeine andere Beschäftigung während des letzten Jahres, die deine Freizeit in Anspruch genommen hat?
Aaron: Ich habe eine Menge Bücher gelesen. Und ich habe an meinem Haus gearbeitet.
nicorola: Ihr seid nun seit über einer Dekade unterwegs, ohne jemals euer Line-Up zu ändern. Liegt das eventuell daran, das eure Band aus zwei Brüderpaaren besteht?
Aaron: Ja, das könnte damit etwas zu tun haben. Wir hoffen alle, das es auch so bleiben wird.
nicorola: Möchtest du meinen Lesern noch etws sagen?
Aaron: Danke für’s Zuhören.
nicorola: Vielen Dank für das Interview!
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The National – „Bloodbuzz Ohio“
Tourdaten:
08. Mai 2010, 20:00 – Huxley’s Neue Welt, Berlin
09. Mai 2010, 20:00 – Astra, Berlin
Kommentare
2 Antworten zu „Interview: The National“
vielen dank für das tolle interview. freu mich noch mehr auf das konzert im mai
danke für das interview!