Es ist der letzte Tag des Jahres 2019 und damit fast schon zu spät für den Blick zurück auf die besten Alben der vergangenen 12 Monate. Aber eben nur fast. Ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht und ein- und wieder aussortiert. Jetzt bin ich mir sicher, dass ich meine Top 10 gefunden habe. Los geht’s:
The National – I Am Easy To Find
Ein Album zum Film? Oder der Film zum Album? I Am Easy To Find ist sowohl ein 64-minütiges Album von The National als auch ein 24-minütiger Kurzfilm von Mike Mills. Dem Konzept des Films folgend gibt es auf diesem Album viele weibliche Stimmen zu hören: Gail Ann Dorsey, Mina Tindle, Lisa Hannigan, Sharon Van Etten, Kate Stables, Eve Owen – und der Brooklyn Youth Chor.
Ich war zu Beginn unschlüssig. Entspricht das, was ich da höre, eigentlich meinen hochgesteckten Erwartungen? Ist das nur ungewöhnlich oder doch aufregend? Es brauchte viel Zeit, Kopfhörer und Abschottung, um mir meine Fragen zu beantworten. Aber inzwischen bin ich mir sicher: I Am Easy To Find ist eine gelungene Neuausrichtung.
Highlights: Rylan, Oblivions, Light Years
Baden Baden – La nuit devant
Für ihr drittes Album La Nuit Devant haben sich Éric Javelle und Julien Lardé fünf Jahre Zeit gelassen. Sie haben getüftelt und experimentiert, das hört man schon beim ersten Durchlauf. Die elf Songs tragen kryptische Titel CLSS, POS, BH und LMR und klingen sehr viel reduzierter und synthetischer als auf dem Vorgänger.
Auf dem vorherigen Album hangelte ich mich noch von einem Gefühlsausbruch zum nächsten, hier bleibe ich ruhig und lausche den mitunter wundervollen Arrangements von Ma chère, Post romantique oder LMR. La nuit devant ist ein wundervolles, komplexes und gefühlvolles Album.
Highlights: Beach, Les debúts, Post romantique
The Appleseed Cast – The Fleeting Light of Impermanence
Was Sänger, Gitarrist und Hauptsongwriter Christopher Crisci hier auf dem neunten Album seiner Band The Appleseed Cast vorlegt, ist abenteuerlich, mitreißend und umwerfend. Fünf Jahre hat es gedauert, bis das neue Material fertig war. Schließlich wurde es in einer sechstägigen Aufnahmesession live eingespielt.
Ich bin von The Fleeting Light of Impermanence schwer begeistert und glücklich, dass es auch im Jahr 2019 noch Künstler gibt, die das Album statt den einzelnen Song in den Mittelpunkt stellen. Unbedingt anhören, abtauchen und verzaubern lassen!
Highlights: Chaotic Waves, Time The Destroyer, Asking The Fire For Medicine
Ilgen-Nur – Power Nap
Zwischen dem treibenden Bass des Openers In My Head und dem letzten Piano-Akkord von Deep Thoughts passiert viel. Lässig gespielte Gitarren, druckvolle Drums und die immer im Zentrum stehende Stimme sind die Zutaten für die unaufgeregten Hymnen, die nur ein paar Durchläufe brauchen, um hängen zu bleiben.
Ilgen-Nur singt von ihren Gefühlen, ihren Ängsten und Wünschen. Alltägliche Fragen, vorgetragen mit Dringlichkeit und verpackt in wundervolle Melodien: Power Nap ist ein rundum gelungenes Debüt.
Highlights: Easy Way Out, Clean Sheets, TV
Beirut – Gallipoli
Es ist wieder alles vorhanden, was für mich ein Album von Beirut ausmacht. Dichte Bläsersätze, atmosphärische Orgelsounds, Ukulele, modulare Synthesizer und diese melancholischen Gesangslinien.
Von den grandiosen Balkan-Bläsern bei When I Die über das elektronische Quäken des instrumentalen On Mainau Island bis zu den schwindelig torkelnden Trompeten von We Never Lived Here: das fünfte Album von Beirut ist ein faszinierendes Hörerlebnis.
Highlights: When I Die, Landslide, On Mainau Island
Fontaines D.C. – Dogrel
Energische, im Post-Punk verwurzelte Songs, vorgetragen im Sprechgesang, welcher in den Refrains durchaus zum Mitgröhlen animiert. Mich erinnert ihre Musik an Art Brut, Maximo Park und Sleaford Mods. Drogel ist ein unterhaltsames, kraftvolles Debütalbum mit wenig Überraschungen und keinen wirklichen Ausfällen. Es wird nur hin und wieder ein wenig zu viel wiederholt.
Highlights: The Lotts, Too Real, Big
Apparat – LP5
Mit LP5 hat Sascha Ring alias Apparat ein minimalistisches, detailverliebtes und trotzdem hymnisches Kleinod schaffen. Die vielschichtigen und filigranen Songs können dabei sowohl im Hintergrund als auch bei voller Konzentration unter den Kopfhörern genossen werden.
Es gibt viele Instrumente, Stimmungen und Details zu entdecken. Ich fühle mich stellenweise an Massive Attack oder auch an Radiohead erinnert. LP5 ist eines dieser seltenen elektronischen Alben, welches mich voll in Beschlag nimmt und mich aus meiner üblichen Indie-Rock-Welt herausreißt.
Highlights: VOI_DO, DAWAN, HEROIST
Have A Nice Life – Sea Of Worries
Auch auf ihrem neuen Album Sea Of Worry fordern Have A Nice Life ihre Zuhörer wieder heraus. Es beinhaltet Elemente von Shoegaze, Goth, Post-Punk, Post-Rock und Ambient Drone. Oder anders: es klingt wie eine Mischung aus Joy Division, My Bloody Valentine, Mogwai, Depeche Mode und Appleseed Cast.
Diesmal sind die Songs allerdings gradliniger und der Sound ist nicht mehr so verwaschen wie auf dem Vorgänger. Sea Of Worry ist trotz der neuartigen Zugänglichkeit in der ersten Hälfte ein schwerer Brocken. Aber ich mag Have A Nice Life gerade dafür, das ich mir ihre Musik ein Stück weit erarbeiten muss.
Highlights: Sea Of Worry, Science Beat, Lords Of Tresserhorn
Lana Del Rey – Norman Fucking Rockwell!
Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich Lana Del Reys aktuelles Studioalbum in diese Liste aufnehmen soll. Denn die Songs auf Normal Fucking Rockwell! sind verhalten und lassen nur hier und da die gewohnte Grandezza und das typische Drama aufblitzen. Das war mir lange zu wenig, denn gerade auf dem Vorgänger Lust For Life hatte sie die perfekte Rezeptur für ihre Songs gefunden. Aber mit jedem Durchlauf ist mir dieses Album mehr ans Herz gewachsen und ich lernte diesen wundervollen Flow zu lieben, der diese Songsammlung zusammenhält.
Highlights: Venice Bitch, Fuck It I Love You, Hope Is a Dangerous Thing for a Woman like Me to Have – But I Have It
DIIV – Deceiver
Auch ein schwieriger Kandidat, trotz der ungewöhnlichen Zugänglichkeit. Deceiver von DIIV zündet fast sofort und brauchte dennoch eine gefühlte Ewigkeit, um mich vollends zu überzeugen. Die Songs klingen wuchtiger, strukturierter und melodischer und das macht sie für mich im Jahr 2019 eigentlich unverzichtbar. Nur brauchte ich für diese Erkenntnis viel Zeit.
Highlights: Skin Game, Blankenship, Horsehead
Die Alben des Jahres 2019 – die Playlist
Falls du eines der Alben nicht kennen solltest, habe ich dir eine Playlist zusammengestellt. Hier habe ich meine Alben des Jahres 2019 komplett hinzugefügt, damit du dir einen umfänglichen Überblick verschaffen kannst.
Kommentare
Deine Ansicht zu NFR kommt der meinen schon ziemlich nahe (siehe meine Jahrescharts). 🙂 Baden-Baden hat’s nicht in meine Top 20 geschafft, schade eigentlich, aber da ist der Funke nicht so recht übergesprungen. Vielleicht hätte ich es noch öfter hören sollen/müssen.
Einen guten Rutsch und auf ein musikalisch interessantes 2020!