Es ist Mitte Dezember und Weihnachten ist nur noch eine Woche entfernt. Es wird also Zeit für den Jahresrückblick. Nachdem ich dir bereits die 100 Songs des Jahres präsentiert habe, folgen nun die Alben des Jahres. Ich habe lange überlegt und abgewogen und mich am Ende selbst überrascht.
Denn oft hat es eine Platte trotz meiner Schwärmerei und einer hohen Wertung nicht in diese Liste geschafft. Das liegt einfach daran, dass ich mich auf die Alben konzentriert habe, die mir in diesem Jahr wirklich etwas bedeutet haben. Die mich unterhalten haben, mich zum nachdenken, träumen oder mitsingen animiert haben.
Und da kann es schon einmal vorkommen, dass eine verdammt gute Platte durch das Raster fällt. Hier sind also meine ganz persönlichen Alben des Jahres.
A Tale of Golden Keys – Everything Went Down As Planned
A Tale Of Golden Keys kommen aus Nürnberg und spielen wunderbaren Indiepop, der so klingt, als wäre er ein wenig aus der Zeit gefallen. Melancholie durchzieht das ganze Album, aber trotzdem klingen die Songs vorsichtig optimistisch; mal tröstend und mal treibend.
So wirken Zeilen wie „Everything Went Down As Planned“ dann auch überhaupt nicht pessimistisch, sondern am Ende sogar euphorisch. Das Cover mit Tyrannosaurus Rex, Velociraptor und Pterodactylus passt sich wunderbar ein, denn trotz der apokalyptischen Szenerie wirkt es nicht wirklich bedrohlich.
In ihrer eigenen Welt vertreiben A Tale of Golden Keys düstere Gedanken, zaubern wunderbare und zeitlose Melodien. Vielleicht atmen diese nicht immer den Zeitgeist, aber sie klingen super. Eine kleine Überraschung.
Tocotronic – Das Rote Album
Schon nach ein paar Durchläufen war mir klar: die Musik, die kriege ich nicht mehr aus dem Kopf. Sie passt sich dem Fluss der Worte an, sanft und mit Lagerfeuerromantik oder ekstatisch und mit drägenden Gitarren. Tocotronic waren schon immer Fans von Rock, Grunge oder Punkrock, aber gleichzeitig auch immer Verehrer des Pop.
Auf dem roten Album steht der Pop im Fokus. Die Songs klingen sehr international und so zugänglich wie selten. Tocotronic können immer noch Parolen, wie damals, im Frühling vor 20 Jahren. Aber es sind Parolen der Liebe. Zum Ende hin wird es mir zwar eine Spur zu kuschelig, aber auch dieses Ausfransen passt zu diesem Album, welches sich zurecht in mein Herz und das meiner Kinder gespielt hat.
Wolf Alice – My Love Is Cool
Die hörbaren Einflüsse auf diesem Album reichen von Nirvana, The Pixies und Stone Roses bis zu den Cocteau Twins und sorgen dafür, dass die Musik auf unbestimmte Art immer vertraut klingt. Wolf Alice reichen mich von Referenz zu Referenz, von eigener Idee zu eigener Idee, von Song zu Song.
Inzwischen fällt es mir nicht mehr schwer, „My Love Is Cool“ als Gesamtwerk wahrzunehmen. Für mich hat sich der originäre Wolf Alice-Sound im Laufe der vergangenen Monate entwickelt. Mit jedem Durchgang sind die Songs enger zusammengerückt, und das trotz ihrer Vielfalt. Der Kampf gegen das Erwartbare ist einer, den ich gerne unterstütze.
Blur – The Magic Whip
„The Magic Whip“ klingt ungewöhnlich versöhnlich. Ruhiger und nicht so direkt wieBlur oder 13, besitzt es einen ganz eigenen Charakter. Man hört Einflüsse von Damon Albarns Soloplatte, von den Gorillaz und ein fernes Echo von The Good, The Bad & The Queen. Trotzdem wird eines recht schnell klar: „The Magic Whip“ ist ein Album von Blur. Noch dazu ein ziemlich gutes.
Es ist das Album einer gestandenen Band mit starken Charakteren. Die Unstimmigkeiten scheinen überwunden, und gemeinsam hat man eine neue Sprache gefunden. Ob dir diese Sprache gefällt, musst du selber entscheiden. Ich bin ihr seit geraumer Zeit verfallen. Und es ist mir ganz egal, ob dies das letzte Album dieser Band sein sollte. Mit Blur und letzten Alben ist das nämlich so eine Sache.
Low – Ones and Sixes
Vordergründig und düster, so klingt das aktuelle Album von Low. Darauf scheine ich zu stehen. Zum Beispiel auf das trockene „No Comprende“, welches mich mit seiner Wuchtigkeit gleich in seinen Bann gezogen hat. Oder „What Part Of Me“, ein ähnlich grandioser Song wie „Just Make It Stop“ auf dem Vorgänger. „Landslide“, mit knapp 10 Minuten der längste Song des Albums, ist ein geduldiger Riese, geheimnisvoll, unberechenbar und mit einem fast schon gefährlichen Unterton. Das majestätische „DJ“ beschließt dieses Album mit düsteren Pianoklängen und folgenden Worten:
You want religion, you want to show it, a ressurection, some kind of purpose
Wenn eine Band nach über 20 Jahren solch ein existenzielles Album veröffentlicht, dann verneige ich mich in Ehrfurcht.
The Slow Show – White Water
Wenn eine Band sich nach einem Song von The National benennt und dazu noch aus Manchester kommt, dann hat sie meine Aufmerksamkeit. Das Debüt von The Slow Show erinnert oft an die melancholischen Momente meiner Helden. Die Bläser in „Bloodline“ zum Beispiel oder das Schlagzeug-Spiel in „Augustine“. The National sind ein offensichtlicher Einfluss für die Songs dieses Debüts – aber zum Glück nicht der einzige. Die Briten haben im Laufe ihrer noch kurzen Geschichte genug Eigenständigkeit entwickelt.
Solltet ihr auf The National, die frühen Editors, Tindersticks oder Lambchop stehen, dann empfehle ich euch dringend, in dieses erstaunliche Debüt von The Slow Show reinzuhören. „White Water“ ist kein Album für die unbeschwerten Momente des warmen Frühlings oder gar des Sommers, sondern für die bittersüßen Zwischentöne. Und damit völlig zurecht auf Platz 5 meiner Alben des Jahres.
The Libertines – Anthems For Doomed Youth
Die gemeinsame Zeit der Libertines Anfang des neuen Jahrtausends war kurz und aufregend. Sie wurde maßgeblich von Pete Dohertys Lebensstil und diversen Titelblättern geprägt. Sie hinterließen zwei großartige Alben und eine Menge enttäuschter Fans.
Aber die Zeit heilt nicht nur Wunden, sie kann auch Streitigkeiten aus dem Weg räumen und dafür sorgen, dass sich Menschen entwickeln. Fünf Jahre nach der Trennung traten The Libertines wieder gemeinsam auf, und wiederum fünf Jahre später gibt es erstmals eine neue Platte.
Ehrlich gesagt erwartete ich nicht wirklich viel von dieser Platte. Für mich hatten sie auf ihren ersten beiden Alben alles gesagt; die beiden Charaktere hatten sich solange aneinander gerieben, bis die Funken eine Hand voll genialer Ideen in Brand setzten und die Band daraus ein paar Songs für die Ewigkeit schmiedete. Aber ich war positiv überrascht: die Energie ist noch nicht verpufft, auch das Händchen für tolle Songs ist noch vorhanden. Eine positive Überraschung.
Petite Noir – La Vie Est Belle / Life Is Beautiful
Der In Kapstadt aufgewachsene 24-jähriger Musiker Yannick Ilunga alias Petite Noir vermischt südafrikanische Elemente wie Shuffle-Grooves und Marimba mit düsterem New Wave zu etwas, dass er Noirwave getauft hat.
Mich erinnert seine Musik an eine Mischung aus Bloc Party, Grace Jones und Fela Kuti. Und in einigen Momenten mag man gar Dave Gahan von Depeche Mode am Mikrofon zu hören. Ganz stark ist auch der Einfluss der Achtziger. So geschrieben klingt das jetzt vielleicht ein wenig abschreckend, aber ich kann dir eines sagen: Petite Noir schüttelt hier eine tolle Hookline nach der anderen aus dem Ärmel.
Wenn man den Begriff Noirwave herunterbricht, dann geht es bei Petite Noir nicht darum, einen radikal neuen Sound zu definieren. Es geht vielmehr darum, sich in der Popwelt des Jahres 2015 zu positionieren. Das Ergebnis ist das vielleicht zeitgenössischste Indie-Pop-Album des Jahres. Und eines der besten.
EL VY – Return to the Moon
Die richtig guten Songs von EL VY wie “Need A Friend” verknüpfen den markanten Bariton Matt Berningers mit den verspielten und treibenden Instrumentals von Brent Knopf. Wenn sich Knopf allerdings zurücknimmt, dann klingen die eher ruhigeren Stücke wie „It’s A Game“ oder „Careless“ stark nach The National. Was ich als Fan natürlich begrüße.
Es ist oft so, dass ein Nebenprojekt eines Frontmanns klar ausleuchtet, welchen Anteil die übrigen Mitglieder der Band an den geliebten Songs haben. „Tomorrow’s Modern Boxes“ von Thom Yorke ist zwar interessant und bietet tolle Ansätze, zeigt mir aber, dass Radiohead für mich als geschlossene Einheit besser funktionieren.
Bei EL VY ist es zum Glück anders. Hier verschmelzen beide Musiker ihre Kreativität und erzeugen gemeinsam ein Album, welches nicht nur wie das Debüt einer eigenständigen Band klingt, sondern auch noch verdammt großartig.
Baden Baden – Mille éclairs
Im Laufe der letzten zehn Jahre ist es mir immer seltener passiert, dass ich über Musik stolperte, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte und die mich dermaßen fesselte, dass ich mich nicht von ihr losreißen konnte.
Zu meinem großen Glück passiert genau das aber hin und wieder doch, und darüber bin ich verdammt froh. Denn welchen Sinn sollte das hier alles machen, wenn ich keine neue, aufregende Musik mehr entdecken würde?
Im von mir hoch verehrten Blog Lie In The Sound las ich Anfang des Jahres etwas über die neue Platte von Baden Baden. Auf Mille éclairs vereinen die Franzosen melancholischen Indie-Rock mit Brit-Pop, zeitgenössische Traurigkeit (“la tristesse contemporaine”) mit unbedingter Euphorie. Ich verstehe aufgrund meines schlechten Schulfranzösisch zwar nur Brocken der Texte, aber die Musik! Die Musik! Für mich die Platte des Jahres!
Alben des Jahres 2015 – die Playliste
Falls du eines der Alben nicht kennen solltest, habe ich dir eine Playliste zusammengestellt. Hier habe ich meine Alben des Jahres komplett hinzugefügt, damit du dir einen umfänglichen Überblick verschaffen kannst.
Bei der Erstellung der Playliste für Apple Music half mir der Ralph, der mich auch auf die Idee dazu brachte. Vielen lieben Dank dafür!
Foto: Laura D’Alessandro, CC-Lizenz
Kommentare
Na, da haben unsere Top 10 auf jeden Fall zwei Überschneidungen 🙂 (Baden Baden und Toco)
🙂 Wann veröffentlichst du deine Top 10 denn? Bin schon gespannt.
Ich feile derzeit noch dran – am längsten dauert natürlich immer die Findung der richtigen Reihenfolge. 🙂 Aber dann will ich ja auch noch was zu jedem Album schreiben… Auf jeden Fall beginne ich mit meinen Jahresrückblicken am 26.12., denke ich. Die Songcharts stehen immerhin schon.
Das stimmt, die Reihenfolge dauert. Ich freue mich auf den 2. Weihnachtsfeiertag!