Das Debütalbum von alt-J schaffte es 2012 auf magische Weise, jede denkbare musikalische Idee und jedes Genre, welches sich irgendwie mit dem Label Gitarrenmusik versehen lässt, in wunderbare Songs zu überführen.
Als Hörer fühlte ich mich zu keiner Sekunde orientierungslos oder gar verloren. Ganz im Gegenteil: ich wurde gepackt und mitgenommen von diesen komplexen, aber dennoch eingängigen Popsongs. Völlig zurecht erhielten sie für dieses Album den Mercury Prize.
Für den Nachfolger This Is All Yours aus dem Jahr 2014 hätte die Band ihre Erfolgsformel einfach wiederholen können. Damit wären sowohl die Fans als auch das Plattenlabel ziemlich glücklich gewesen. Aber sie wählten einen anderen Weg und irritierten die Fans zunächst durch ein komplexes, aber dennoch stimmiges und am Ende überzeugendes
Als vor wenigen Wochen der erste Vorbote auf das dritte Album erschien, war ich aufgeregt. 3WW ist ein entspanntes Stück, welches durch die Unterstützung von Ellie Rowsell (Wolf Alice) fast in zwei Hälften geteilt wird. Knapp drei Minuten dominieren folkige Gitarren und sanfte Klänge, bevor zum Ende der Bass in den Song hineinfährt und Roswell ihn in andere Sphären überführt.
Das wenig später erschienene In Cold Blood klang im Gegensatz dazu schon fast ein wenig nach Fan-Service: die komplexen Rhythmen, der typische Groove, die bekannten Gesangslinien. Dazu noch ein paar Bläser, die dem guten Bill Conti alle Ehre gemacht hätten.
Mich hat in der Folgezeit aber vor allem die dritte Vorab-Single überzeugt: Adeline. Wieder ein ruhiges Stück, in welchem sich ein Tasmanischer Teufel in eine Frau verliebt, welche er beim Schwimmen beobachtet.
Mit den letzten zwei Minuten dieses Songs hatten mich alt-J am Haken. Dieses „Ja-ja-ja“-Sample in Kombination mit den Streichern: wundervoll.
Was konnte also noch schiefgehen? Einfach fünf weitere Songs dazu, fertig ist die Platte für die Top Ten des Jahres 2017. Dachte ich zumindest. Doch irgendwie werde ich mit dem Album RELAXER nicht warm.
Einzelne Songs sind großartig: das wundervolle Duett mit Marika Hackman (Last Year) und die beiden bereits erwähnten Songs Adeline und In Cold Blood.
Aber es gibt leider auch Songs wie die Überarbeitung des Klassikers House Of the Rising Sun, welcher als B-Seite einer Single besser funktioniert hätte. Oder das abschließende, pastorale Pleader. Ein wundervoller Song, der vor lauter Wohlklang an mir vorbei schlurft.
Das größte Problem habe ich allerdings mit Hit Me Like That Snare, einem zerfahrenen Song, der wohl einer Studiosession entsprungen ist. Cowbells, wilde Schreie, ein langweiliges Riff und eine fürchterliche Produktion. Ich kapiere diesen Song nicht und erschrecke bei jedem Durchlauf.
Der Song endet mit dem wenig provokanten „Fuck you, I do what I wanna do“. Gut, diesen ausgestreckten, musikalischen Mittelfinger akzeptiere ich, aber ich überspringe ihn inzwischen jedes Mal.
Auch mit Deadcrush habe ich meine Probleme. Im Kern ein wahnsinnig groovender Song, aber irgendetwas hält mich von wahrer Begeisterung ab. Vielleicht ist es der gekünstelte Gesang? Ich bin mir da unsicher.
Was bleibt? Ein ernüchterter Fan. alt-J schreiben immer noch tolle Songs, aber ich habe das Gefühl, dass sie nicht so recht wissen, was sie jetzt machen sollen. Nein, das ist unfair. Sie wissen bestimmt, was sie machen, nur ich interessiere mich teilweise einfach nicht mehr dafür. Schade.
Kommentare
2 Antworten zu „alt-J – RELAXER (Review)“
Ich bin ja selber überrascht, aber ich finde leider keinen richtigen Zugang. Und bei mir sind es leider auch einzelne Songs, die mich nicht ansprechen.
Da bin ich jetzt etwas überrascht. Ich bin als Fan nicht ernüchtert und kann in allen Songs etwas Interessantes finden. Ich habe weniger an den einzelnen Songs auszusetzen als an der Gesamtkomposition vom Album. Das ist leider nicht so stimmig wie die Vorgänger, die Songs wirken leider eher beliebig aneinandergereiht, machen mir aber einzeln jeweils sehr viel Freude.